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Der Erbfehler |
sachsenmietze | ||
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Gruppe: Administrator Rang: Lebende Forumslegende Beiträge: 8321 Mitglied seit: 13.05.2008 IP-Adresse: gespeichert | Man kann die Menschen einteilen in Schwarze und Blonde, in Große und Kleine, in Abstinenzler und Rückforthianer, in Bebrillte und Unbebrillte. Man kann die Menschen aber auch einteilen in Dumme und ganz Dumme. Das dümmste Geschöpf, das ich je kennen gelernt habe, ist Baula, bei deren Mutter ich eine Zeitlang in etwas wohnte, was zu sagen mir sauer fällt, nämlich in Aftermiete. Jedes Mitglied der Familie hatte seinen aparten Webfehler im Hirn. Der Mann war Kellner und führte ein merkwürdiges Dasein. Allnächtlich gegen drei Uhr erschien er fluchend und schwankend im Logis, verprügelte die Gattin, schmiss sie hinaus auf den Korridor, riegelte die Schlafzimmertür ab und sank schnarchend zu Boden. Am späten Vormittag erhob er sich , wimmerte - mit martialisch umgeschnallter Schnurrbartbinde und tränenfeuchten Auges - um Gnade und Vergebung winselnd, ließ sich Generalpardon erteilen, rückte Wirtschaftsgeld heraus, kleidete sich an und trabte nach zärtlichstem Abschied in den Dienst. Die Tochter hingegen klimperte Klavier. Sie hieß Baula und war (1922) siebzehn Jahre alt. Ein hübsches Ding, ein bissel bromsilberkartenhaft, adrett, eitel und ohne das mindeste musikalische Empfinden. Sobald der Vater das Haus verlassen hatte, begab sie sich ans Klavier. Denn er durfte von der Existenz des hinter seinem Rücken auf Abzahlung bezogene Möbels nichts erfahren. Und er wird auch ganz gewiss niemals davon erfahren, da er tagsüber abwesend ist und während seiner Mußestunden kaum das Schlafgemach räumt und sich allenfalls in die Küche verirrt oder aufs Kloster. Baula ist der Stolz ihrer Mutter und besucht das Konservatorium. Oder, genauer: das >>Gonnfrsaddohrium<<. Aber es ist nur eine Hintertreppen - Klavierschule mit Massenbetrieb. Baula studiert bereits das zweite Jahr Musik und kann entsetzlich schnell spielen. Das lernt man auf dem Gonnfrsaddohrium. Es klingt. wie wenn eine Meute winzig kleiner Pudelhunde über die Tasten fegt. Baula spielt alles entsetzlich schnell. Das ist die Kunst. Und mit Pedal. Gerechter Strohsack, wer hat eigentlich das teuflische Pedal erfunden? War es nicht zu vermeiden? Eine Viertelstunde lang unter vier Augen mit dem Nichtswürdigen, und einer von uns beiden verläßt das Lokal als >>>>>>Leichnam! Baula übte im Zimmer nebenan. Mit Pedal und Selbstaufopferung. Alles wirr durcheinander, die neuesten Gassenhauer und die ältesten Salonstücke. Nur durch die Tür von mir getrennt. Es war schaurig. Eines Mittags, während die emsige Tochter ihren Exerzitien oblag, fragte mich die Mama( die mir den Kaffee brachte, und was für welchen!). wie ich Baulas Dechnik fände. Ich gestattete mir die Gegenfrage: ob Baula des Guten nicht zu viel tue? Dies war das Stichwort. Ich wurde nunmehr in die Intimitäten der Familie eingeweiht.>>Was dengkn Se denn?<< begann die Kellnersehefrau und nahm umständlich Platz, >>meine Baula machds doch nich zum Schbaasse. Die soll doch mah schbähdrhin Firrduohsin währn unn in Gonnzärrdn aufdrähdn, das wärrd doch guhd bezahld, niwwahr? Unn da gann se auch mal nach Ammehriggah. Die soll doch enne gefeierde Ginsdlerin währn, meine Baula. Unn wenns nich drzuh langkd, iss och nich schlimm, da iss mir nich angsd drumm, um dähr ihr Forrdgomm, mussigahlisch wie die iss. Horchn Se nuhr, wie fix das gehd! Jjah, die hadd enn Haufn Dallennd. Unn wenns nich langkd zun Gonnzärrde-Gähm, da iss ooch nich weidr schlimm, da erdeild se ähm Unndrrichd, niwwahr? Da werdse ähm Klaffier-Lährerin unn machd ä gleenes Gonnfrsaddohrium auf. Ohdr in Gihno beis Orggässdr.<< >>Hm, an Ihrer Stelle würd ich meine Tochter in Stenografie, Schreibmaschine und Buchhaltung unterrichten lassen.<< >>Nee. Das mag se nich. Unn da währ ooch mei Mann drgehjn.<< >>Oder in ein Geschäft schicken.<< >>Da isse mr widdr zu schade drzu, unn das sähk ooch dr Fahdr nich gärne.<< >>Oder sie sonstwas lernen lassen, bloß nicht Klavier.<< >>Nee?Nich>?<< >>Nein. Auf keinen Fall.<< >>Warum dnn nich?<< >>Weil Ihre Paula - soweit ich das beurteilen kann - nicht übertrieben musikalisch ist.<< >>Mir dachdn krahde.<< >>Und als Klavierlehrerin verdient sie doch nicht die Hälfte von dem , was heutzutage eine Sekretärin hat oder eine Schreibmaschinistin.<< >>Nee sowas. Ei Godd.<< Sie ließ den Kopf hängen. Ich sah mich bemühßigt, die Geknickte aufzurichten. >>Das ist ja schließlich kein Grund zum Verzagen. Ihre Paula ist doch nicht aufs Klavierspielen angewiesen.<< >>Euah.<< >>I, das reden Sie sich ein!<< >>Nee, das isses ja grahde. Was andres gann se nich, Se iss doch zurickebliem. In dr Schuhle. Se gann doch nich emmahl s gleene Einmaleins. Se gann doch ähm wiedr nischd wie Nohdn -Lähsn. Wiese zähne wurde, brahch der Griech aus. 16 wurde doch alles eingezoochn, niwwahr? Na, nuh hadde si doch ooch von zuhause geene Annleidungk. Denn mei Mann...Sie wissn ja Bescheid, Na, unn ich ... mr hadd middr Wärrdschaffd grahde genuch zu duhne, niwwahr? Na, unn in dr Schuhle, die jungn Lährer, die wahrn oalle in Fällde, unn die alldn Gnackriche, diede de Frdrähdungk haddn, das war doch ooch nischd. Unn eegal fiel der Unndrrichd aus, ohdr se haddn frei, na, unn da hadd si ähm so hingemuddeld,bisse aus dr Schuhle gam, niwwahr? Unn nuh sidzd si da midd ihrn Gänndnissn. Wenn si nur welche hädde. Awwr si weeß doch nischd. Das iss ja das Ehlend. Die gann doch nich emmah enn Brief schreim. Die weeß doch nich, wie was geschriem werd. Die hadd doch geene blasse Ahnungk von Orrdekraffieh. Das heeßd, da gann si nischd drfohr. Das lijjd an meinr Fammihlje. Das iss ä Erbfählr!<< Aus der "Gaffeganne" von Hans Reimann
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29.06.2008 00:55:34 | ||
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